Der Roman mit dem Arbeitstitel "Leichenschmaus" erzählt zwei parallel verlaufende Geschichten, die schließlich fusionieren müssen. Zum einen ist da Herr Lamprecht, der sich irgendwann vor seinem demnächst anstehenden Geburtstag  fürchtet, da er an den vorangegangenen der letzten drei Jahre, jeweils an seinem Ehrentag um Haaresbreite ums Leben gekommen wäre. Und dann ist da der Althippie Jörg, der mit seinem Wohnmobil auf einer kleinen kroatischen Insel in einem Fährhafen in eine Sackgasse des Lebens geraten ist. Nach einem Streit hatte ihn seine Lebensgefährtin spontan verlassen und sich einem griechischen Trucker angeschlossen. Jörg wartet und hofft, während sich die anteilnehmende Inselbevölkerung täglich um ihn sorgt und kümmert.

 

Kapitel 1 (nicht redigiert)

 

Herr Lamprecht hatte Geburtstag. Es war der 49zigste, eines alleinstehenden, ewig Junggebliebenen. Er war davon weder angetan noch dadurch beunruhigt. Er würde erst im nächsten Jahr mit seinem Alter ein Problem bekommen. Das wusste er. Doch an diesem schönen Augusttag, wollte er noch nichts damit zu tun haben und so machte er sich, nach seiner Arbeit, gegen halb fünf, auf den Weg in den Klostergarten. Dort würde er bestimmt ein paar Bekannte treffen, die er gerne zur Feier des Tages, zu einem Umtrunk einladen könnte. Mehr hatte Herr Lamprecht nicht geplant.

 

Seine Gedanken waren heiter gestimmt und so schritt er vergnügt die sonnendurchflutete Friedrichstrasse hinab. An der Kreuzung zur Schillerallee zeigte die Fußgängerampel für ihn rot. Herr Lamprecht blieb stehen und blinzelte ins Sonnenlicht. Er selbst achtete nicht auf seine Ampelphase, sondern er ging einfach dann wieder los, wenn auch die anderen Wartenden sich in Bewegung setzten, um die Strasse zu überqueren. Als er gerade die zu passierende Schillerallee halb überquert hatte, schoss schlingernd und mit hoher Geschwindigkeit ein Lieferwagen auf ihn zu. Herr Lamprecht sah den Kühlergrill auf sich zukommen und erstarrte plötzlich, wie auf der Strasse festgenagelt.

Niemand hätte mehr einen Cent auf sein Leben gesetzt. Genau 24 Paar Augen waren in dieser Sekunde auf ihn gerichtet. Einige aus den umliegenden Cafes, mehrere aus wartenden Fahrzeugen, ein Paar aus dem Unglückswagen und der Rest bestand aus zufällig Umherblickenden. Für Allesamt war klar, dieser Moment wird böse enden, und so waren schon einige Hände auf dem Wege, diesen Anblick zu verdecken.

 

Das hätten sie nicht tun sollen. Denn so verpassten sie ein Wunder. Buchstäblich in allerletzter Sekunde, kurz bevor der Lieferwagen Herrn Lamprecht erfassen sollte, wurde der Todgeweihte zur Seite gerissen und landete zusammen mit einer anderen Person im Rinnstein, während der taumelnde Lieferwagen weiter ungebremst über die Kreuzung raste und laut zerberstend in die Backsteinmauer der Elisabethkirche krachte. Das war ein Geräusch, das niemand so schnell vergessen konnte.

Herr Lamprecht brauchte ein bisschen Zeit, ehe er zu sich fand und sich aus dem roten Mantel und der Umklammerung seiner Retterin befreien konnte. Umringt von Schaulustigen, saßen sie beide einen Augenblick auf dem Bordstein, tasteten nach ihren Blessuren und machten sich, etwas verstört, miteinander bekannt.

 

Claudia Zielke“, sagte Frau Zielke und rieb sich dabei die Handgelenke, während ihr Blick auf ihren aufgeschürften Knöchel gerichtet war. Herr Lamprecht hatte ein Loch in Höhe des Knies in seiner Hose und ein aufgeschlagenes Kinn, aus dem etwas Blut quoll. Er lächelte schief und das tat ihm weh. Dabei sagte er mit einem verspannten Lächeln : „Klaus Lamprecht, doppeltes Geburtstagskind.“

 

So lernten sie einander kennen. Solch ein Schreckmoment geht auch schnell wieder vorbei, und die Gaffer waren hinüber zu dem qualmenden Lieferwagenwrack gelaufen, wo man sich um den Fahrer kümmerte und auf den Krankenwagen wartete.

 

Herr Lamprecht bestand darauf, dass Frau Zielke alle weiteren Vorhaben der nächsten Stunden aufschob und ihn in den Klostergarten begleitete. „Schließlich haben sie mir heute ein sehr außergewöhnliches Geburtstagsgeschenk gemacht, und das, obwohl wir uns gar nicht kannten“, versuchte er zu überzeugen.

Dieser Anstrengung bedurfte es gar nicht. Frau Zielke hatte nichts dagegen einzuwenden und war sowieso nur auf dem Wege nach Hause, in einen mehr oder weniger langweiligen Abend gewesen. Also humpelten beide, sich einander wie verwundete Kriegskameraden stützend, weiter die Friedrichstrasse entlang, um dann doch ein Taxi zu besteigen, was sie geradewegs in den Klostergarten chauffierte.

 

 

Der weitere Abend verlief für beide sehr angenehm und im wahrsten Sinne berührend. Sie tranken Wein, erzählten einander ihre Leben und während sich die Nacht über den Biergarten senkte, die bunten Lampions im lauen Sommerwind schaukelten, verbanden sich ihre Herzen miteinander und wussten schon vor ihren Besitzern, dass sie diese Nacht nicht alleine verbringen würden. Beim Sex mussten sie manchmal vor Schmerz lachen, weil sie sein lädiertes Kinn oder er ihren wunden Knöchel vergessen hatte.

 

Es sollte aber die einzige Nacht bleiben, die sie so gemeinsam miteinander verbrachten.

Dennoch schlummerten die gegenseitigen Telefonnummern in ihren Handys und hin und wieder ließen sie auch von sich hören. Sie einmal mit einem Foto von Mallorca und Wochen später aus Athen, er im Gegenzug vom Empire State Building und vom Weihnachtsmarkt in Solingen. Mehr war ersteinmal nicht, außer der schönen Erinnerung und der seltsamen Begegnung, die tatsächlich wohl Herrn Lamprecht an seinem 49igsten Geburtstag das Leben schenkte.

 

 

Die Geschichte wäre auch hier schon zu einem ausreichend glücklichen Ende geführt, wenn sie sich nicht doch noch viel kurioser entwickelt hätte.