Liebesbrief

und dann dachte ich heute plötzlich, einem törichten Einfall folgend, vielleicht ist es die falsche Methode immer nur von oben im Briefkasten zu fischen, und so suchte ich den Briefkastenschlüssel seit Jahren mal wieder hervor und schloss also den Kasten auf und da guckt mich unschuldig mümmelnd eine Maus an und sagt ohne Worte "ey, was los, hier wohn ich." Ich war sprachlos und sah, dass sie an einem Brief herumkaute. Ich nahm ihr also den Brief weg (von wegen Briefgeheimnis!) und weil sonst auch keine sonstige Post zu finden war, schloss ich die Mausewohnung wieder ordnungsgemäß zu. Der Brief aber, der war interessant. Er stammte aus dem Dezember 2011 und war ein Liebesbrief einer längst erloschenen Flamme von einst. Und er hatte überall Mäusenagelöcher, quasi sah er eher aus wie eine Häkeldecke, aber das was ich noch lesen konnte hat mich echt gerührt und wer weiß, dachte ich so bei mir, wer weiß, ob ich damals dann nicht doch bei ihr geblieben wäre, hätte ich damals schon mal nach dem Briefkastenschlüssel gesucht. Aber Du siehst, solche Fehler mache ich nur einmal und bei Dir nie mehr!


Die Entschuldigung

Also, das war so: ich war ja rechtzeitig auf und dachte, ich pflück Dir eben noch ein Sträußchen Frühlingsblumen im Garten, weil Frau und Blumen, das passt ja wie Faust auf Boxernase, dachte ich so zu früher Stunde etwas grob und vielleicht noch leicht dumpf vor mich hin, und während ich also durch meinen Garten flaniere und hier und dort ein Blümelein einsammele, höre ich eine feine, zarte Stimme, die ganz leise "Tommy, pssst Tommy" sagt. Ein wenig erschrocken schaue ich umher, drehe mich um, aber ich sehe niemanden, dem die Stimme gehören könnte "Tommy. hier bin ich", vernehme ich das Stimmchen wieder,“ hier auf dem Baum.“ Ich blicke auf den großen Apfelbaum neben mir, der gerade in voller Blütenpracht steht. Meine Augen wandern forschend durch das Geäst und erst auf den zweiten Blick hin, entdecke ich den Absender der Worte. Ein kleines braunes Eichhörnchen sitzt dort, aufrecht auf den Hinterbeinen, mit langem buschigen Schwanz und spitzen Öhrchen und schaut mich mit seinen schwarzen Knopfaugen groß an. „Na endlich“, sagt es und ich sehe deutlich, wie es dazu sein kleines Mäulchen bewegt. Ein Eichhörnchen, das spricht, geht es mir etwas monoton durch den Kopf. Ich sehe es, ich höre es, aber ich glaube es nicht recht. Deshalb stelle ich eine selten dämliche Frage: “Du kannst sprechen?“ Das Eichhörnchen sieht mich eindringlich an, legt sein Köpfchen etwas schief, richtet die Öhrchen energisch zu mir aus und erwidert mit leiser Stimme: „ Dümmer geht’s nimmer, oder?- Aber Tommy, ich habe nicht die Zeit mich nun lange zu erklären. Wir sind in großer Gefahr und deshalb brauchen wir Dich“ Das Eichhörnchen begann schneller zu sprechen:“. Der Nachbarshund ist ausgebrochen und hat die Katze gejagt. Die wiederum hat die Hühner aufgeschreckt und der Hahn ist über den Zaun gehüft, Das hat der Fuchs gesehen und den wiederum hatte der Jäger gleich mit seinem Feldstecher vom Hochsitz ausgemacht. Daraufhin knallte die Büchse, der Fuchs konnte flüchten, aber eine von diesen kleinen Schrotkugeln ist durch die Gegend geirrt und meinem Vetter Achim ins Bein gefahren. Der liegt nun verletzt auf der Wiese und all die anderen Tiere laufen frei herum. Du musst uns helfen.“ Das Eichhörnchen war außer Atem geraten bei der Aufzählung der vielen Geschehnisse und sah mich nun nur noch irgenwie flehentlich an. Keine Frage, hier musste ich einschreiten, und zwar schnell. Ich eilte ins Haus, holte meinen 1.Hilfe Koffer und zurück beim Apfelbaum, sah ich das Eichhörnchen sich schon von Ast zu Ast schwingen. Ich folgte ihm und bewunderte wie tollkühn es weite Sprünge vollführte, Bäume wechselte, wieder über den Boden auf freier Strecke rannte und dann wieder durch Flieder und Büsche hopste. Ich kam kaum hinterher, doch wusste ich ja, dass wir zur großen Wiese unterwegs waren. Dort angelangt, führte mich das Eichhörnchen zu der Stelle, wo Vetter Achim reglos im Gras lag. Und wir waren gerade rechtzeitig. Der Nachbarshund hatte die Fährte aufgenommen und schnüffelte schon in der Nähe herum, wie auch der Jäger, der von seinem Hund durchs kniehohe Gras gezogen wurde, auf der Suche nach dem Fuchs. Vorsichtig hob ich Vetter Achim auf, und wollte mit ihm die Gefahrenzone verlassen, da bat mich das andere Eichhörnchen, es mitzunehmen. Ich deutete auf meine Jackentasche und im Nu war das Eichhörnchen hineingehuscht, hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und nur noch das Ende seines roten Schwanzes schaute heraus. So brachte ich die beiden Kerlchen zu mir nach Hause, versorgte Vetter Achims Wunde, entfernte die kleine Schrotkugel und verband ihm den Hinterlauf, während das andere Eichhörnchen, das sich mittlerweile als Gottfried mit Namen vorgestellt hatte, während also Gottfried neugierig zuschaute und mir aus der Welt der Eichhörnchen erzählte. Später, als wir Achim in einem meiner alten Pullover ein Bettchen gemacht hatten und er einen Genesungsschlaf hielt, saß ich mit Gottfried noch lange in der Küche, er bei einem Tässchen Milch, ich mit einem Cappuccino, und wir tauschten uns aus über unsere verschiedenen Standpunkte auf dieser Erde. Ich war überrascht, wie viel Gottfried zu erzählen wusste und welchen Wissensstand Eichhörnchen haben. Und noch überraschter war ich davon, dass Gottfried eine Menge seines Wissens aus meinem Fernseher hatte. Denn Nachts, so erzählte mir Gottfried im Vertrauen, sei es ein beliebtes Vergnügen für Eichhörnchen, vor den Fenstern der Menschen zu sitzen und mit ihnen in diese leuchtenden Kästen zu schauen. Und ihre empfindlichen Ohren, können sehr gut hören, gut genug, um alles was aus dieser Kiste kommt auch laut genug zu vernehmen. Er selber, berichtete Gottfried nicht ohne gewissem Stolz, habe schon als Kind gerne mit seinem Vater bei mir vor dem Fenster gesessen, was im Übrigen in ihrer Sprache Lumpfen heißt, und beim Lumpfen habe er schon früh die Menschsprache gelernt. Und so trumpfte Gottfried auf, erzählte von seinem angesammelten Wissen, dass die Erde eine Kugel sei, das Universum Milliarden an Sonnensystemen habe, dass  Pi eine nicht endende Zahl ist und noch vieles mehr, worüber ich fast vergessen hätte, dass ich ja doch etwas heute vorhatte. Der Blumenstrauß fiel mir wieder ein. Der musste noch unter dem Apfelbaum liegen. Und ja, Du würdest wohl nicht mehr warten, dachte ich bei mir und bekam dabei brennend heiße Ohren. Gottfried bemerkte das und fragte:“ Tommy, was ist mit Dir?“ „Ach“, sagte ich mit einer wegwischenden Handbewegung, “schon gut, es ist nichts, nichts was ich ihr nicht irgendwie erklären könnte.“

Sie geht arbeiten

mein lieber Hochleistungsmotor,
funkensprühendes Löwenmäulchen,
duftender Löwenzahn,
Tigermantelträgerin
mit Himmelsschweif,
Du drohender Meteoritenhagel,
wer könnte Dich stoppen,
wenn nicht der Mann,
der Dich morgens noch einmal küsst,
festsaugt an Dir,
und sekundenlang solche Stromschläge einsteckt,
dass 12 Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen,
wegen Überspannungsgefahr.
So steh ich da, in meiner Tür,
und Du bist in Lichtgeschwindigkeit,
verschwunden,
ein winziger Punkt am Horizont,
rotblau glühend,
und während ich benommen noch Deine Lippen schmecke,
verbrennt die Steppe hinter Dir.
Ganz langsam schließe ich die Tür
und lege mich in Zeitlupe wieder in unser Bett,
neben die Ahnung von Dir.

Nachricht vom anderen Ende der Welt

Na meen Deern,


nun bin ich wirklich weit, weit weg von Köln und als ich heute so am Strand wandelte (ich hatte vor ein paar Wochen Glück und wurde von einem befreundeten Käpitän gebeten ein franz. Forschungsschiff als Schiffsarzt nach Tahiti zu begleiten) musste ich an die Heimat denken und, dass jetzt ja der Karneval tobt. Und als mein direkter Draht kamst Du mir in den Sinn, wie Du jetzt vielleicht in der U-Bahn sitzt, Haltestelle Appellhofpltz, bunt geschminkt mit rotem Haar,vielleicht als Pipi Langstrumpf, schon ein Fläschchen Sekt intus und laut lachend mit den Freundinnen zum Altermarkt unterwegs. Ach Herrlich!

Hier gibt es auch so etwas ähnliches. Es wird viel weisser Rum in allen Varianten getrunken, die Frauen hängen den Männern Blumengirlanden um und es scheint, als sei es ein reines Fest der Fruchtbarkeit. Gerade wenn ich an Weiberfastnacht denke und das damit verbundene, zeitweilige Matriarchat, meine ich hier ähnliche Strukturen zu entdecken. Denn, ungehemmt und ungestüm, lassen sich die Frauen hier momentan gehen, und gerade die Männer, die über und über mit Blumen behägt sind, sind auch folglich am begehrtesten und werden gerne abgeführt. Da kommt wahrlich ein sehr weiblicher Zug zum Vorschein, der sonst änständig verhüllt und bisweilen unterdrückt wird. Wohl in allen Erdteilen der Welt, außer in skandinavischen Ländern, vornean in Norwegen, wo Männer ja die geschlechtliche Rolle der Frau inne haben.

Nun denn, und da Weisse hier weiterhin einen kulturhistorisch bedingten Ausnahmestatus innehaben, sind sie besonders begehrt bzw. für ein Frau schmückend, wie eine wertvolle Muschel, die nur in Wahnsinnstiefen vorkommt und daher nur von besonders mutigen und starken Männern hervorgeholt und verschenkt werden kann.

Gewissermaßen bin ich also dieser Tage hier so eine Muschel und so muss ich ein Spiel mitspielen, wofür mich so manche Langnase in meiner Heimat beneiden würde, was aber auf die Dauer auch sehr anstrengend und bisweilen, aushölend ist. Sehe ich mich denn, den mannigfaltigsten Nachstellungen von unterschiedlichsten Frauenzimmern ausgesetzt, die nicht nur aus der Ferne mit blinkerndem Augenaufschlag Verheißungsvolles andeuten, sondern sich auch ganz praktisch und bedacht, auf die Pirsch machen und mir und anderen Männern nachstellen. Teils tun sie das auch in gefährlichen Rudeln und in verabredeter Manier. Gestern abend z.B., ich ging mit meinem Freund in eine Strandbar um einen Sundowner zu nehmen und gesellig über alte Zeiten und Dampfer zu quatschen, als sich eine fröhliche Schar junger Damen, die gerade im Sand eine Arte Voleyball mit einem geflochtenen Korbball spielten, uns ausguckten. Noch saßen wir nichtsahnend in unseren Liegestühlen, die Hosenbeine aufgekrempelt, das laue Nass des Pazifischen Ozeans benetzte unsere Knöchel und wir tranken eines dieser bemerkenswerten, fruchtigen Rumgemixe, als sich nun nacheinander mehere Damen uns vorstellten und uns mit bunten Blumen behängten, als wäre mein Freund Cäpt'n Cook und wir würden das erste Mal die Osterinseln betreten.

Die Amtssprache ist hier Französich und so sprachen die Damen uns auch an. Der polynesische Akzent, den die Einheimischen hier in die Sprache mischen hat etwas sehr Erotisches, wie etwa der französische Akzent im Deutschen, wenn "der Bier in die Bauchnabel kribbelt". Jeff, mein Freund, entflammte gleich, schon von dem ersten Getränk angeregt, für eine sehr hübsche Mulattin, die ihn sofort siegesgewiss an die Bar dirigierte, wo ich ihn, so muss ich heute rekonstruieren, aus den Augen verlor.

Mir ging es gestern und in dem Moment, nicht im Entferntesten um erotische Eskapaden, war ich im Kopf noch sehr bei einer anderen Sache: bei einer Schiffsgeburt.  Ich meinte mich zwar schon dieser Verantwortung entledigt zu haben, die sich am Nachmittag durch einen Funkruf von naher See an mich drängte, aber dem war nicht so. Doch nacheinander: Ich saß also nun, nach dem Weggang von Jeff, immer noch in meinem Liegestuhl im Sand am Spülsaum, die Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, rotblaulila backten die Engelchen im Himmel Kuchen, aus der Strandbar schallten Klänge einheimischer, rythmischer Musik herüber, ich hatte schon drei oder vier Blumenkränze umgehängt bekommen, als mein Telefon sich meldete und ich auf den Schiffsfunk geschaltet wurd, zu eben jenem Schiff namens " Treasure", wo eine Frau, begleitet vom 1. Offizier, ein Kind gebahr. Nachmittags hatte ich Offizier Wilhelms, der in dieser Sache völlig unerfahren war, ein paar Links zum Thema Geburtshilfe gemailt und war bis dahin der Meinung gewesen, dass damit die Sache erledigt wäre. Zumal die Niederkommende, eine Küchenhilfe, deren Schwangerschaft wohl geheim geblieben war, schon mit sechs Kindern gesegnet ist und mir somit selbst erfahren genug erschien, die Geburt mit dem Offizier Wilhelms gut über die Bühne zu kriegen. Dem war aber, wie sich nun herausstellte, nicht so. 
Am anderen Ende der Leitung hatte ich einen aufgeregt plappernden Wilhelms, im Hintergrund brüllte in starken Wehen liegend jene Küchenhilfe, und dabei war die Übertragungsqualität von Funk- auf Mobilsignal auch noch recht mäßig. Und während nun Wilhelms mir in wirren Beschreibungen die Situation schilderte und ich mir angestrend versuchte ein Bild der Kindslage zu machen (ich vermutete und fürchtete zu dem Zeitpunkt fälschlicherweise eine Steißgeburt) behängten mich in wahlloser Reihenfolge die Strandschönheiten mit Blumenketten und prosteten mir zu.

Natürlich verstand keine von denen, womit ich mich gerade am Telefon beschäftigte, zumal ich mit meinem Gegenüber auf Englisch kommunizierte, doch deuteten die Damen meine geistige Abwesenheit mit schnödem Desinteresse meinerseits an ihren Avancen, was den sportlichen Ergeiz der illustren Schönheiten noch mehr aufstachelte. So mögen eineinhalb Stunden vergangen sein, als ich endlich den erlösenden Erstschrei unserer Telefongeburt im Hörer vernahm. Ein äußerst erlösender Moment für mich und, wie es der Zufall oder das Schicksal so will, auch für die Damenwelt um die Strandbar herum. Diese hatten nämlich kurz bevor, die Allerschönste unter ihnen erwählt, um mir, in einem letzten Versuch, mich die harte Nuss zu knacken, einen neuerliches Blumenbouquet umzuhängen und einen fürstlich gestalteten Drink zu servieren.  Und gerade als diese Grazie über den lauen Sand hinweg zu mir schwebte, um mir Blumen und Getränk zu überbringen, war die Geburt geglückt. Ich war überglücklich und da kam es gerade Recht, dass mir nun diese Frau einen Drink spendierte. In meinem gefühlsmäßigen Überschwang nahm ich sie herzlich in den Arm, und küsste sie, in Annerkennung aller tapferen Frauen, die ihr euch um den Fortbestand der Menschheit so quält, mit großem Pathos und tiefer Verbundenheit auf den Mund.

 Doch was aus meiner Situation heraus verständlich und nachvollziehbar war, sah für die einheimische Frauenwelt ganz anders und doch genauso kausal folgerichtig aus. Ich, die mittlerweile durch Weibergunst mit Blütenpracht so hochdekorierte Langnase, hatte so lange Desinteresse bezeigt, bis wirklich das prächtigste und schönste Geschopf unter den anderen Schönen mir zugeführt wurde. Ich hatte unwissend das Spiel der Damen mitgespielt und unbedacht die Signale gegeben, die sie in ihrer weiblichen Logik gerade herausforderten. Und schließlich hatten sie, aus ihrer Sicht, gesiegt. Der Mann, seine Unbeteiligtheit vorspielend, war nun Besiegter der weiblichen Schönheit geworden. Ich war im sportlichen Wettkampf, Mann gegen Frau Unterlegener, und als dieser, wurde ich nun von "meiner" Frau, meiner Besiegerin, mit Stolz vorgeführt.

Nun, ich hatte nichts besseres an dem Abend vor und mir war  mittlerweile und verständlich nach Feiern zu Mute, und so wendete ich auch nichts dagegen ein, als mich meine Erwählte mit dem schönen Namen "Mahir", an die Hand nahm und  mitsamt ihren Freundinnen in das bunte, berauschende Treiben einer tahitischen Strandnacht zog. Wir tanzten an Feuern, hielten eine Polonese (hier wurde mir erstmals der Begriff in seinem Wortstamm deutlich) durchs Meer ab, ruhten unter funkelden Sternen um sogleich wieder in der nächsten Party einzutauchen. Eine Nacht, die sich buchstäblich gewaschen hatte und als es Tag wurde, schmuggelte ich Mahir, was normalerweise streng untersagt ist und auch nicht meinen Geläufigkeiten entspricht, mit auf meine Kabine auf unserem Schiff.

Eben gerade, gegen Nachmittag, das geschäftge Treiben des Hafens schallt schon längst durch das geöffnete Bullauge, erwachte ich. Mahir liegt schlafend eingerollt noch neben mir und ich habe mich vorsichtig ihrer zärtlichen, schönen Umklammerung entwunden, damit sie nicht gestört wird, in ihrem friedvollen, anmutigen Schlaf (sie ist auch bei Tageslicht von helenaischer Schönheit).

Nun sitze ich an meinem kleinen Schreibtisch und schreibe diese Zeilen auf meinem Laptop, ganz in Gedanken an die Zeiten auf der anderen Seite der Welt, im Kölner Karneval.Und, wie gesagt, so viel anders funktioniert die Sache hier auch nicht. Auch bei euch wacht man mitunter irgendwo neben einer Einheimischen auf, und greift zur neuerlichen Erbauung ersteinmal zu einem kühlen Bier. So werde ich nun auch tun, fische mir ein eiskaltes Lager Export aus meinem Kabinenkühlschrank und proste Dir da drüben mit einem leisen "Alaaf" zu.

Sei gegrüßt

Dein Tommy

Abgehoben

 

Schon mal Stewardessen kotzen gesehen? Nee? Ich schon. Zugegeben, ich war recht belustigt, hatte ich mir doch am Hamburger Flughafen im Duty free so eine silberne Flasche Wodka gekauft und damit die reichliche Verspätung meiner Maschine nach London überbrückt. Nun saß ich endlich auf meinem Lieblingsplatz in dem dicht besetzten Airbus 319, ganz vorne links am Fenster, dort wo man auch als Economypatient die Beine ausstrecken kann und bei Start und Landung die zumeist charmanten Gesichter der Stewardessen vis a vis hat. Es war regelrecht stürmisch und wir schaukelten uns durch die Lüfte, sackten immer wieder in tiefe Luftlöcher und die Stewardessen waren den ganzen Flug damit beschäftigt Brechtüten einzusammeln und auszuteilen. Langsam breitete sich ein süßsäuerlicher Geruch in der Kabine aus. Echt eckelig, und so goß ich mir noch einen ordentlichen Schluck Wodka in meinen O-Saft. Ich fühlte mich wie auf einem Segelschiff. Wir stampften durch die Wogen, eine unregelmäßige Schaukelei. Irgendwann meldete sich der Cäpt'n über Lautsprecher und entschuldigte sich für das wüste Wetter. Er stellte auch eine etwas heikle Landung in Heathrow in Aussicht und warb daher um Verständnis, dass man noch etwas über London kreisen werde, um schließlich gewisse Windberuhigung abzuwarten, bevor er lande. Der Brechreiz nahm im Publikum zu. Schmunzelnd schaute ich aus dem Fenster. Unter mir sah ich die Küste Englands, der Kanal schäumte weiß, London kam näher. Irgendwann hieß es „ Crew ready for landing“. Mir gegenüber gurteten sich zwei hübsche Flugbegleiterinnen fest, die schon etwas mitgenommen wirkten. War bis hierher auch ein harter Job für sie gewesen. Nun kreisten wir aber noch zwanzig Minuten über London in geringer Höhe. Das war wie Karusselfahren und Achterbahn in eins. Wie gesagt, wenn ich nicht so schön betrunken gewesen wäre, hätte ich mir echt Sorgen gemacht. Stattdessen jubilierte ich innerlich und grinste wohl öffentlich vor mich hin. Dann griff die erste Stewardess unter ihren Klappsitz und zog eine Falttüte hervor. Mit stoischer Mine formte sie einen Trichter in den Tütenhals und erbrach sich dort hinein, irgendwie professionell. Muss ihr wirklich peinlich gewesen sein, zumal wir uns gegenüber saßen. Ihre Kollegin ließ mit ihrer Prozedur nicht lange auf sich warten. Nun saßen zwei aschfahle, uniformierte Damen vor mir, die Blicke gesenkt, abwartend und erniedrigt. Unser Airbus schlingerte und stampfte dem Landeanflug entgegen. Der Pilot wollte es nun wissen. Ich war gespannt und doch gelassen zugleich. Man merkte den Winddruck von der Seite, heftige Böen, die Passagiere waren still. Wir sanken regelrecht eiernd der Landbahn entgegen, schaukelnde Tragflächen, kein Geradeausflug, ein unwirkliches Querschieben. Im letzten Moment vorm Aufsetzen zieht der Pilot gerade, wir hüpfen merklich auf dem Asphalt, ein paar Mal aber saugen uns mit den Pneus fest am Erdboden und rollen rumpelnd weiter. Die ersten Passagiere fingen an zu klatschen, wie auf einem Charterflug, dann richtig lauter Applaus von erleichterten, geretteten, Überlebenden. Meine beiden Stewardessen, leicht derangiert, setzten wieder ihre optimistischen Masken auf, lächelten mir zu, schnallten sich los und spulten ihr Programm ab. Ich ließ mir Zeit. Gehöre nicht zu denen, die gleich zum Verlassen der Maschine drängeln, gerne auf dem Gang rumstehen. Ich blieb sitzen, trinke meine letzten Schlücke Wodka-O, sehe auf das Flugfeld, die anderen Flugzeuge, angeschlossen an die Gangwayschläuche, vormittags um elf, an einem Orkantag. Doch dies war erst der Beginn meiner Reise. Um 18 Uhr sollte mein Schiff aus Southhampton auslaufen. Hinaus aufs Meer, nach Amerika, nach New York.


Tamara

 

Frl

Tamara Schmitz

Hotel Vier Eichen

Ostberlin



 

Tamaschka, Myschka,

so unendlich weit, Strassen, Felder, Bahnhöfe, Flugplätze, Länder und Meere, sind zwischen uns geraten. Mein Herz will das nicht und klopft in jeder Stunde mit zunehmender Panik in meiner Brust. Schlägt gefangen an meine Rippenbögen, gibt nimmermüd Laut, um meinen herrschenden Geist zur Umkehr zu bewegen. Zurück zu Dir. Und wahrlich, ich vernehme selbst die grausame Pein, fühle den drosselnden Strick an meiner Kehle, den ich mir stetig qualvoll enger ziehe. Es kreisen meine Gedanken, ohne Unterlass, ohne Ruhe, um Dich. Und wenn der Schlaf mich für Minuten holt, wandern Deine Augen in meiner Seele, forschen nach uns und ich spüre wie Du mich suchst, in mir und in uns. Dann bin ich für Augenblicke neben Dir, spüre Deine Hand in der Meinen, fühle wieder wie sich unser Atem verbindet, wie wir eins werden, ein Herz und eine Seele, wie ihr in eurer Sprache so schön sagt. Ja, Maschka, das sind wir geworden, bevor ich Dich verließ, eins, ein Wesen, ein Mensch. Und so ist Dein Geist in mir und mein Geist in Dir. Und wir spüren schmerzvoll die Dehnung, das Ziehen und Zerren der Entfernung, die uns trennt, die uns doch auch Größe verleihen vermag, doch ich werde jämmerlich klein dabei. Es ist so ungewohnt. Noch nie liebte ich so. Obwohl ich weiss, es gäbe weit bessere Zeiten diese einzige Liebe zu erfahren, zu leben, und zu geniessen, so fühle ich doch auch, dass Du mir zur Seite gestellt bist, mich zu begleiten in den nächsten Tagen und Stunden, mich stärker, kräftiger zu machen, mir Mut und Zuversicht zu geben für das was vor mir steht.

Meine Großmutter Ludmilla sagte immer: Trennung ist für die Liebe wie der Wind für die Flamme, kleine Liebe erlischt, große brennt nur noch stärker.

für immer der Deine

Alexej Petrovna

 

(Anmerkung der Redaktion: Oberst Petrovna wird zwei Tage später in Nowosibirsk tot in einer verlassenen Lagerhalle aufgefunden. Ein Projektil einer russischen Spezialwaffe hat ein kleines Loch in seiner Stirn hinterlassen)   




Elmar Wellenkamp

per mail an:

redaktion-megawelle@cccanarias.net

 

An den Chefredakteur

des Magazin "Mega Welle"

Teneriffa

 

Herrn

Elmar Wellenkamp

 

 

                                                                    Kiel, den 29.11.2012

 

Sehr geehrter Herr Wellenkamp,

seit langer Zeit gehöre ich zu den eingefleischten Fans von Mega Welle, als auch natürlich des zugehörigen Magazins. Selbst in diesen schneenahen, grauen Tagen hier in Nordeuropa, höre ich täglich die Mega Welle übers Internet. Es ist ein akustischer Dauerurlaub, für mich!

Ihre eindrucksvollen Beiträge, der letzte über das " Schlemmerland Teneriffa" brachten mich zu der Frage, wie Sie, Herr Wellenkamp eigentlich aussehen mögen. Verzweifelt habe ich im Internet gestöbert, doch ohne Erfolg. Ihren Berichten zu Folge, sind sie den sportlichen Dingen des Lebens genauso zugetan, wie auch der kulinarischen "Lustseite" einer irdischen Existenz.

 

Mein Ansatz, Sie heute anzuschreiben, entspringt aber einem anderen Anliegen, das ich im folgenden einführend schildern muss.

 

Wir saßen nämlich in lauen Sommernächten dieses Jahr bei uns in der Heimat, mit unseren Nachbarn, den Helmers, zusammen und wenn wir dann so über unsere Lieblingsinsel schwärmten, kamen wir natürlich auch auf die Mega Welle zu sprechen, die bei mir den ganzen Tag durchs Haus dudelt und unseren Garten auch nicht verschont, sowie auf das Magazin und Ihre Beiträge. Marianne Helmer, so darf ich verraten, ist ein richtiger Groupie von Ihnen. Bei unserer Diskussion über "Elmars" Erscheinungsbild war sie die Vetreterin der Frauenliga, die sich einen braungebrannten blonden Haudegen vorstellte, der den ganzen Tag mit nur verknotetem Hemd herumliefe, in schnellen Wagen über die Insel braust und abends mit hübschen Damen im Arm, Cocktails ausprobiert. Ich dagegen, Herbert Helmer schloß sich aus verständlichem Selbstschutz mir an, denke realistischer und schilderte einen Mitfünfziger mit gelichtetem Haupthaar, leichtem bis mittlerem Bauchansatz und Vorliebe für trockenen Rotwein.

 

Und weil ich an jenem feuchtfröhlichen Sommerabend von diesem Getränk auch ausgiebig genossen hatte, gab ich, um meine Behauptung zu untermauern, glaubhaft plötzlich zum Besten, Ihnen sogar schon mal persönlich begegnet zu sein. Es war klar, dass ich sogleich mit Fragen nur so bombardiert wurde. Normalerweise, verehrter Herr Wellenkamp, neige ich nicht zur Flunkerei, nur, ich hatte mich selbst in diese Lage manövriert und so log ich, dass sich die Balken meiner Pergola bogen.

 

Ich hätte Sie auf meinem letzten Alleinflug von Hamburg nach Teneriffa überraschend als Sitznachbarn gehabt, begann ich meine Erzählung, und die Damen in der Runde hingen sogleich an meinen Lippen. Ich will nicht verschweigen, dass Marianne Helmer eine weibliche Erscheinung der Sonderklasse ist, also eine Sünde wert, und wenn so eine Frau jetzt ihre Schwärmerei für einen Elmar Wellenkamp urplötzlich auf mich überträgt, dann sind meine münchhausischen Ausführungen um so verständlicher und vielleicht sogar entschuldbarer.

 

 Ich saß also neben Ihnen, wohlgemerkt ersteinmal ohne Schimmer, wen ich neben mir hatte. Meine Phantastereien über den Gesprächsverlauf legte uns eine Erörterung des aktuellen Fussballbundesligageschehens in die Münder, die zufällige Entdeckung unseres gemeinsamen Lieblingsvereins (entschuldigen Sie, ich musste Sie notgedrungen zum Fan des HSV machen) um schließlich bei unserer beruflichen Tätigkeit anzukommen. Während meines Erzählens glitzerten mich Marianne Helmers Augen so betörend an, dass ich nicht umhin kam, ausschweifig und ausschmückend von Ihnen zu erzählen, jedoch nicht ausser Acht lassend, Sie als einen von Uns, also unseres Alters und unserer Erscheinungswelt zuzuordnen. Das tat Mariannes Leuchten keinen Abbruch, sah ich mich nunmehr auch selbst als Elmar Wellenkamp vor ihr sitzen, zumal ich uns noch einen, dem Flug anschließenden, Ausflug über die Insel andichtete. Unsere Gespräch verlief ja gewissermaßen im Fluge und so luden sie mich ein, sie noch auf eine Recherche zu begleiten.

Hier gingen leider meine mir eigenen "Magnum" Bilder durch den Kopf und so fand ich mich mit Ihnen am Steuer in einem knallroten Ferrari wieder, mit einem Affenzahn vom Flughafen auf dem Weg in den Hafen. Keine Ahnung warum gerade zum Hafen, und als meine Frau genau mit dieser Frage intervenierte, fiel mir nur noch ein, alles auf die Spitze treibend, uns zu einem Interviewtermin mit Prad Pitt einzuladen.

 

Ich weiss, ich weiss, Herr Wellenkamp, das war in der Tat überzogen und meine schöne Marianne knallte plötzlich mit der flachen Hand auf die Glasplatte unseres Gartentisches und schnauzte mich an :" Alles erstunken und erlogen!" Doch ich konnte natürlich nicht in diesem Moment aufgeben und mich als angetrunkener Kleingärtner Tommy Brehm dem Schicksal überlassen als Lügenbaron jegliche Gunst zu verlieren. Verständlicherweise. Und so blieb mir nur die Flucht nach vorne, in dem ich die Antwort auf die logische Frage, warum ich nicht schon längst von diesem Erlebnis erzählt hätte, darin fand, dass damit ja dann die Überraschung an Mariannes und Elkes Geburtstag dahin gewesen sei. Dazu müssen Sie wissen, dass Marianne und Elke gemeinsam am 22. Januar Geburtstag haben und wir alle zusammen jedes Jahr diesen Tag auf Tenereiffa, in einem bezaubernden Lokal in Santa Cruz feiern. "Und womit wolltest Du uns überraschen? Mit Prad Pitt und Elmar?", entfuhr es Marianne mit entgeistertem Blick. Ich war in der Falle. Mit vorgetragener Beleidigtheit, die Geburtstagsüberraschung unausweichlich preisgeben zu müssen, warf ich nun den beiden Damen, Ihren Geburtstagsbesuch, also Ihr Erscheinen am 22.1.2013 in den Rachen. Nach dem Motto, bitte schön, jetzt verderbt ihr euch alles selbst mit eurer Ungläubigkit, wusch ich mich rein, gab den Damen eine angemessene Zerknirschtheit zurück und begab mich an diesem Abend somit in Ihre Hände, Herr Wellenkamp. Wohl und Wehe hängt nun an Ihnen.

 

Doch damit nicht genug. Als wenn der Abend nicht schon Warnung genug für mich gewesen wäre. Es geschah noch weiteres in diesem Sommer, wovon zu berichten mir dieser Tage kein leichtes ist, bringt es noch weitere Brisanz in die Geschichte.

 

Eine Woche später flog meine Frau zu ihrer Schwester nach New York. Es handelte sich um eine Familienangelegenheit, die einige Wochen in Anspruch nehmen sollte. Ich war alleine, verbrachte die Zeit in unserem Garten, lag am Pool und laß viel. Hin und wieder gesellte sich Marianne Helmer zu mir und wir verbrachten gemeinsam Zeit. Ihr Mann Herbert war auf einer Angeltour mit Freunden in Dänemark. Immer wieder suchte Marianne das Gespräch auf mein Abenteuer mit Ihnen, Elmar zu bringen, was mir verständlicherweise unangenehm war. Doch wenn die Sonne sich neigte, ich einen kalten Weisswein oder einen Roten uns ausschenkte, dann lockerte das mir die Zunge und ich war auskunftswilliger. Und so musste ich wieder und wieder unsere Geschichte erzählen, wobei mir neue, anscheinend in Vergessenheit geratene Kleinigkeiten einfielen, die ich ausschmückend einpflegte. Wieder leuchteten Mariannes Augen so einladend und wie soll ich es beschreiben, es waren wirklich herrliche Sommertage, milde Sommernächte, der Mond spiegelte sich auf der Wasserfläche des Pools, Kerzenschein, Erinnerungen und endlich ein unausweichlicher, erster zarter, hingebungsvoller Kuss. Nein, dafür muss ich mich nicht entschuldigen. Marianne und meiner hatte sich eine Form von Anziehungskraft bemächtigt, die als unausweichlich genannt werden muss. Wir gerieten in eine herzliche und lustvolle Affäre. Doch hin und wieder beschlich mich die leise Ahnung, dass ich vielleicht gar nicht wirklich gemeint bin. Hatte es doch alles erst mit diesem leidigen Abend begonnen, als ich erstmals mein "Elmar Märchen" zum Besten gab. Und war mir Marianne nicht erst seit dem so zugetan? Meinte sie mich? Solche Gedanken wiegend lag ich manchmal neben ihr, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und einerseits mit schlechtem Gewissen belastet und manchmal auch dem Schmunzeln nicht fern. Sie verstehen bestimmt.

 

Nun, um es kurz zu machen, der Sommer ist vorbei, der 1. Advent naht, die Erde hat sich weitergedreht und auch unser Schicksal hat sich gewendet. Wie in einem dummen Schundroman, meine Frau Elke erwischte uns irgendwann in Flagranti, heute bin ich von meiner Frau, und Marianne von ihrem Mann Herbert getrennt. Marianne und ich leben unsere Liebe offen und ehrlich, unsere Scheidungen laufen und ich möchte Marianne so bald als Möglich ehelichen.

 

Doch da ist noch der 22.Januar 2013, unausgesprochen, undementiert, ein Mahnmal und gleichzeitig, ein Tag der Wahrheit. Bis heute habe ich nicht eingestehen können, dass alles Schwindelei, aus den Fingern gesaugt, war. Der richtige Moment, soweit es ihn überhaupt gab, ist verstrichen. Ich denke, Marianne geht schlichtweg davon aus, dass es bei dieser Verabredung, bei dieser Überraschung bleibt, und so wie ein Kind, sein ausspioniertes Weihnachtsgeschenk auch nicht mehr vorher erwähnen wird und sich vornimmt, größte Freude am Tag der Bescherung darzustellen, genauso bleibt der 22.1. nächsten Jahres bei uns auch ausgeklammert.

 

Nun, lieber Elmar Wellenkamp, kennen Sie meine, unsere Geschichte. Kein Ruhmesblatt, eher eine schicksalshafte Schlitterei. Die Geschichte von Lüge und Liebe, und sie ist, ohne Ihr eigenes zutun, unweigerlich mit Ihnen verbunden.

 

Daher meine offene, ehrliche Frage: Werden Sie mir aus der Patsche helfen? Könnten Sie zugegen sein, würden Sie mich decken? Oder haben Sie vielleicht andere Vorschläge?

 

Für eine geneigte Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihr

Tommy Brehm


Schneefall

 

Heute Morgen, um halb sieben am zweiten Advent, raus aus den Federn, rein in die Klamotten, hinaus in den Schneewind, den Wagen freischaufeln und dann keine Straßen mehr da, nur noch Schneewüste im Dämmerlicht. Bloß nicht anhalten, damit ich nicht hilflos steckenbleibe. Rote Ampeln egal, fährt sowieso keiner um die Zeit. Außer mir, Fussballturnier der Lütten. 15 km Gedanken:  

 

Wie damals, als ich meinen Führerschein ganz frisch hatte und und als Ausfahrer für Medikamente jobbte. Der eine Tag im Dezember, Mittags auf der A7, es schneite seit 24 Stunden ununterbrochen, nur Fahrzeuge mit Sondergenehmigung auf der Bahn, also ich und sonst fast keiner. Kniehoher Schnee, mein Wagen mit Schneeketten fräste sich durch, immer geradeaus, die Mittelleitplanke war nur noch ein weißer Hügel, der begrenzte was ich für die Fahrspur hielt. Nur nicht anhalten! Und dann ein Ruck, Metall schlägt rhytmisch im hinteren Radlauf, blockierendes Hinterrad, und Stillstand. Der Motor im Leerlauf. Die Fahrertür lässt sich schwer öffnen. Ich musste mit der Tür eine Menge Schnee zur Seite schieben. Die linke Schneekette hatte sich gelöst und um die Hinterachse gewickelt. Tief unten im Schnee. Da stand ich nun, im Schneesturm, irgendwo bei Nordheim. Echte 1000 Meter. Unwirkliche Stille um mich herum. Der Auspuff meines Wagens blubbert wie unter Wasser. Qualm steigt dort aus dem Schnee. Ich war ratlos aber nicht verzweifelt. Ausnahmezustand, nicht lebensbedrohlich. Nach einiger Zeit sah ich eine große Schneewolke von weit hinten näher kommen. Ein LKW schiebt sich in Zeitlupe durch die Landschaft. Fünf Minuten später schnaufte er langsam werdend bis auf 10 Meter heran, stoppt und zischend werden die Druckluftbremsen angezogen. Der Fahrer schälte sich aus seinem viel zu kleinen Führerhaus. Ein Bär in Unterhemd, Hände wie Klodeckel, Arme wie Fussballerbeine, Adidasshorts und Aldiletten. Der Hüne wuchs beim Näherkommen noch weiter an. Die Schneeflocken verdampften sofort auf seiner nackten Haut.

 

"Probleme?", fragte er mit tiefer, rauer Stimme. Ich nickte nur und zeigte ihm das Problem. Wir knieten in den Schnee und ich wollte ihm das Thema mit der Achse und der Schneekette genauer erläutern. Der Bär aber war zu riesig um sich so tief ins Detail zu beugen. Er richtet sich schnaufend wieder auf auf und sagte nur: " Wickel Du mal die Kette daraus", und als sei mein beladener Passat Kombi nur eine einfache Gartenbank, packte er den Wagen mit beiden Händen unter der hinteren Stoßstange und hob ihn einfach einen halben Meter an. Mit etwas mulmigen Gefühl aber mit Urvertrauen in meinen menschlichen Wagenheber, kroch ich unter den Wagen und knotete die Schneekette von der Achse. Genauso problemlos konnte ich dann die Kette wieder um das Rad montieren, ohne dass der Bär den Wagen absetzten musste. Er hatte auch nicht zur Eile gedrängt noch etwa ein Miene vor Anstrengung verzogen. Während ich montierte stand er einfach nur breitbeinig da, musterte die Landschaft um uns herum und hielt meinen Wagen hoch als sei es eine leere Kiste Bier. Vielleicht fünf Minuten lang. "Und jetzt fährst Du hinter mir her, ich mache Dir den Weg frei", war seine knappe und klare Ansage, als unsere Arbeit erledigt war. Zum Abschied gaben wir uns die Hände. Die Meine verlor sich in der Seinen, wie die Hand eines Kleinkindes in der eines Erwachsenen. Seine war groß, warm und überraschend weich.

 

Wie er genau aussah habe ich mittlerweile vergessen. Heute, als ich in der Frühe durch den Schnee tuckerte, da war die Geschichte von damals sehr präsent in mir. Und ich fühlte plötzlich in meiner rechten Handfläche wieder diese Wärme seiner Hand.

 

Und dabei fiel es mir dann zu meiner eigenen Überraschung ein, nämlich wie der später leicht abgewandelte Werbeslogan " Wir machen den Weg frei", von ihm, über mich und schließlich  zur Raiffeisen Versicherung kam. Aber das ist eine andere, wahre Geschichte.


Zeitphänomen

 

ich habe heute ein Zeitphänomen erlebt.

Nun, jeder weiss, dass mit fortschreitendem Alter die Zeit zu rasen beginnt. Während Kinder allein die Adventszeit als unanständig langsames Dahinschleichen von Zeit empfinden, hat Opa Erwin im Haus Lebensruh, das Gefühl als bestünde das ganze Jahr nur aus wiederkehrenden Weihnachten, so eilt für ihn die Zeit dahin.

Und auch ich habe nicht nur an meinem sich lichtenden Haupthaar wahrgenommen, dass Zeit inkonstant ist und mittlerweile schneller verinnt, als ich einst empfunden habe. Doch heute erlebte ich noch etwas ganz anderes.

Ich fuhr mit meinem Wagen, etwas in Eile unterwegs, in früher Dunkelheit so durch die Stadt, horchte einem Bericht im Radio über eine angedachte Marsmission im Jahre 2030, als plötzlich vor mir die Bremsleuchten meines Vordermannes grellrot aufleuchteten. Ich trat auch sofort mein Bremspedal, doch es trat keinerlei Verzögerung ein. Meine Räder blockierten und ich rutschte langsam und unausweichlich dem Heck, des vor mir stehenden Wagens entgegen.

In diesem Moment trat ein anderes Zeitempfinden in mir auf. Ich lebte noch schneller, um ein vielfaches beschleunigter. Während ich also dahinrutschte und jeden Moment dieses plastikknackende, knischende Geräusch des Aufeinanderprallens unser beider Rudimente von Stoßstangen erwartete, war ich in der Lage so viel zu denken und zu tun, als wenn es sich um mehrere Minuten Zeit gehandelt habe, was ja eigentlich nur Sekunden sein konnten. In übertriebener Verdeutlichung hätte ich, wenn ich denn einen Sinn darin sehen würde, in der Zeit das Handschuhfach aufräumen, die Uhr im Armaturenbrett endlich mal nachstellen und meinetwegen mich auch rasieren können.

Es blieb mir eine Ewigkeit während ich so dahinschlidderte. Und das Interessanteste, ich nahm dieses Phänomen und meine Gedanken dazu, deutlich wahr. So wie ich es jetzt beschreibe. Ich meine sogar noch gelacht zu haben, wie über einen guten Witz, ob der Ausweglosigkeit des Geschehens. Und gleichzeitig wusste ich aber auch, dass es kein Zweck haben würde noch extra auszusteigen, um vielleicht meinen Wagen entgegenschiebend in seiner Bewegung aufzuhalten, obwohl mir die Zeit mit Sichherheit gereicht hätte. Ich nutzte vielmehr diesen unverhofften Zeitgewinn um mir Gedanken über die Zeit an sich zu machen und das Thema Verkehrsunfälle im Besonderen. Ich dachte unter Anderem, dass so viele Dinge am Tag passieren, die einen Zeitverlauf in vielerlei Möglichkeiten ablenken können, und dennoch kommt es zu einem Unfall, einem Zusammenstoss zweier Individuen, die, betrachtet man ihre beiden getrennten Tagesverläufe und die vielen eingestrickten Zeitvariablen, entweder von der Wahrscheinlichkeit her, nicht zusammenstossen können oder ausdrücklich müssen. Wäre nur einer von uns Beiden, eine Minute später aus dem Haus gegangen, oder hätte sich meinetwegen auch nur zwei Sekunden später vom Klo heute morgen erhoben, alles wäre verändert, wir würden nicht in diesem Moment, in dieser Sekunde kollidieren können. Also, so folgerte ich in diesem augegeprägten Gedankengang, ist es eine vorbestimmte Begegnung, kein Zufall, kein Unfall, sondern ein Muss, ein klarer Fall, wenn es jetzt kracht.

So wirr es klingen mag, diese Erkenntnis in diesem magischen und schier endlosen Moment hat mich glücklich gemacht, hat mir ein Verständnis für die Welt, für Tod und Leben geschenkt und deshalb glaube ich, habe ich gelacht, während ich auf die Kollision wartete. Ich sehnte es förmlich herbei, dieses Zusammenstossen, den Stillstand, den es hervorrufen würde, nicht nur in der sächlichen Bewegung, sondern auch in unser beider Leben.

Unglaublich, aber ich empfand Vorfreude, malte mir das Zögern meines Vordermannes aus, bevor er aussteigt, sich den Schaden besieht, vielleicht ist es eine Frau, ginge es mir weiter durch den Kopf, wie wird es alles sein und wird mein Gegenüber verstehen, wenn ich von der Unausweichlichkeit und von der Vorbestimmung dieses Ereignisses schwärme. Mit dem Urknall war auch dieser Moment, ein Twingo knackt die Plastikschürze eine Audi Soundso, vorherbestimmt. Unausweichlich! Punkt!

Und dann passierte es. Ich touchierte den anderen Wagen. Doch ganz anders als erwartet. Es war eher ein sanfter, zaghafter, feinster, hingehauchter Kuss, keine wirkliche Berührung, eine Ahnung nur, kein Knacken , kein Ächzen, kein Knirschen, nur ein Flügelschlag, und doch, ich schwöre, wir sind aneindergestossen und nur ich konnte es in meiner verschobenen Zeitdimension wirklich spüren, nur ich, denn im selben Augenblick, setzte sich der andere Wagen in Bewegung, entzog sich stärkerem Anprall, bot keinen Widerstand, floh meinem physikalischem Druck, war unfallflüchtig. Ich stand, der andere Wagen fuhr davon.

Hier löste sich langsam meine Zeitversunkenheit. Ein seltsames Erlebnis. Erst als hinter mir das Hupen lauter wurde, kam ich wieder ganz zu mir.

Und fuhr endlich auch weiter.


Ich sah heute meinen entflogenen Kanarienvogel. Er heisst Peter Kraus, weil er so schön singen kann. Hoch oben in luftiger Höhe, auf einer Tannenspitze, in meinem Garten. Er war vor drei Wochen regelrecht ausgebrochen, mit seiner kanariengelben Freundin. Sie war heute nicht mehr dabei. Er saß da oben, sang schöner als je zu vor, mit einem Dompfaff, Meisen und anderen Sangeskünstlern um die Wette. Doch er sang anders, irgendwie trauriger, einsamer, rufender. Er war frei und auch allein. Seine Gefährtin war ihm scheinbar verloren gegangen. Ich kenne ihre Antworten auf seinen Gesang. Kanarienweibchen singen einsilbiger. Sie pfeifen zwei Töne. Ich imitierte sie und er antwortete darauf. Ich pfiff sowie sie und er wurde immer lauter in seinem Gesang. Ich meinte zu vernehmen, dass Frohsinn ihn plötzlich leitete, ich meinte zu hören, er glaubte seine Frau wiedergefunden zu haben. Anfangs freute ich mich, mit Peterchen auf diese Weise Kontakt zu haben, doch plötzlich wurde mir schwer ums Herz. Der Gedanke quälte mich, welche Enttäuschung es sein musste, wenn er entdecken würde, dass ich ihn mit ihrer Antwort nur betrog. Ich stellte mein Pfeifen, meine Imitation, ein und hörte noch länger sein tirilierendes Rufen, ohne ihm Antwort zu geben. Irgendwann schwieg auch er. Ich dachte bei mir, welchen Preis die Freiheit doch manchmal auch hat und sich dann gern mit Einsamkeit paart und musste schließlich lächeln bei dem Gedanken, dass sie vielleicht mit einem Meiserich durchgebrannt ist. Der ein Nest gebaut hatte, in Strande mit Meerblick. Und ganz vielleicht sitzt sie schon brütend auf warmen Kanarienmeiseneiern. Ich schmunzelte über meinen Gedanken und gleichzeitig bedauerte ich Peter und das Leben mit seinen romantischen, unbarmherzigen Gesetzen. Ich beobachtete ihn noch länger und irgendwann schwang er sich mit kurzen Flügelschlägen auf, flatterte und schwebte in diesen gekonnten Intervallen davon, so wie es die kleinen Vögel da draussen so tun, und er flog so weit und so hoch, dass mein Auge ihn nur noch als Punkt wahr nahm. Und das machte mich regelrecht stolz auf ihn, und auf seinen Mut.


Ach Du schöne Unwissende, es sind ein paar Dinge, die ans Herz einer Frau reichen. Ein Blick, eine Melodie, eine Berührung, ein Kuss ohne Frage, sogar ein Gedanke kann so weit herankommen, doch nichts ist so mächtig und von solcher Reichweite, wie das Wort, geschrieben oder gesprochen, wohl bedacht, behutsam und gleichzeitig spitz wie ein Pfeil. Es kann durchdringen, tief hinab tauchen, Dich überall finden. Es kann direkt sich in Dich graben, aber auch sich vorsichtig platzieren, fast hinterhältig wie ein Schläfer, verborgen in Dir kauern, um im rechten Moment Dich in größte Verwirrung stürzen. Es erreicht Dich in festlichster Geborgenheit, in den Armen Deines Liebsten oder wenn Du ganz bei Dir und alleine bist, nutzt es plötzlich die gemütliche Leere und steht auf, als Wort, mitten in Dir, und Du weisst nicht was es da plötzlich macht. Es ist doch nur ein Wort denkst Du, und doch hat es schon begonnen seine Wirkung in Dir zu entfalten, sich an Gedanken zu koppeln, Verknüpfungen anzustellen, und der Liebste fragt plötzlich, was Du wohl denkst, denn er spürt Deine Abwesenheit und Du fragst Dich in Deiner Alleinheit, was kommt mir da gerade merkwürdiges in den Sinn. So ist das mit Worten, es sind geschriebene Gedanken. Doch nimm Dich besonders in Acht, vor Worten die sich reimen, als Lied, als Gedicht kommen sie daher, schmeicheln sich in Deine Sinne und finden Einkehr in tiefste Stellen in Dir.Sanft umschmiegen sie etwas in Dir, wachsen beinah an und Dein Herz schlägt mit ihnen im Takt. Und schnell bist Du daran gewöhnt, spürst ihre Wärme und ihr Wirken, bedarf Dein Herz des sanften Beistandes von ihnen, bis dass Du schliesslich merkst, Du brauchst sie zum Überleben. Doch dies ist ein langer Weg, der süß beginnt, der lieblich schmeckt und weder Anstrengung noch Schweiss bedeutet, es ist ein flüsternder Begleiter, durch Tag und Nacht. Nie wieder bist Du allein. Doch sieh Dich vor, hab Achtung....vor dem Reim!